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Der Jakobsweg auf Cross Rollern Teil 3 - der längste Tag

Der erste Systemcheck liefert nur gute Ergebnisse. Keine Rückenschmerzen, Beine und Füße OK. Die Hände sind auch noch zu gebrauchen. Nur im Gesicht sitzt der Gilb. Da ich aber nicht mit dem Gesicht skate, bin ich zufrieden und zwänge mich in den Kampfanzug.

Das Frühstück besteht aus Resten des Vortages, frischem Baguette mit Honig und reichlich Kaffee. Die gute französische Butter hilft über das erste Heimweh hinweg. Die Herbergseltern sind nicht zu bändigen in ihrer Begeisterung für die „la Rolläär“ und ich muss ausgiebig erklären, wie das so ist auf den Dingern. Sie finden es unglaublich, dass man acht bis zehn Stunden durch die Landschaft gleiten kann, ohne den schnellen Herztod zu erleiden. Ich bitte noch um telefonische Ankündigung meines abendlichen Eintreffens in der nächsten Herberge und fahre dann los.

Frühs mache ich immer gerne den Siitonen. Dieser Fahrstil soll zwar „out“ sein und nurmehr selten gefahren werden, ich finds aber gut. Halb geduckt, mit einem Bein fest in den Asphalt gekrallt und nur das starke linke Bein zum Vortrieb genutzt, spart mir Kraft, gibt mir Sicherheit auf wackeligen Stelzen und sieht zudem noch gut aus. Wenn ich warm bin, mache ich mit 2-1 auf links oder rechts weiter. Nach guten 5 Kilometern lege ich dann mit 1-1 nach. Und überhaupt verbessert sich meine Nordic Cross Skating Technik stets nach ausreichend Schlaf, pünktlich zum nächsten Tag.

Von Marcigny kommend, treffe ich zum zweitenmale in Le Veudre ein. Mir gefällt dieses Städtchen sehr. Hier möchte ich begraben sein. Es ist sonnig und lauwarm. Ich besuche die Kirche und bewundere die kühle Düsternis der Halle. Am Ortsausgang nutze ich eine der wenigen Bänke und träume vor mich hin. Ist da nicht eben Jacques Tati um die Ecke gebogen? Der Postmann im amerikanischem Stile: „Rapedité, Rapedité….“! Ich muß weiter.

Der Asphalt wird immer schlimmer. Es rasselt und rappelt. Die Stöße gehen hoch in meine Knie. Straßenbau bedeutet in Frankreich oft: „Werf mal den groben Splitt auf den heißen Asphalt, die Autos werdens schon verdichten.“ Ich bin aber kein Auto. Ich glaub jetzt wippert auch noch meine Unterlippe mit zum Takt der modernen Zeiten. Und ich höre fast das Geplätscher des Brunnens in der Villa von „Mon Oncles“ Schwester. Wawwawwwawwwa! Scheiße! Und bremsen wird auch schlechter. Meine Füße sind gut durchmassiert und ganz heiß vom vibrieren.

Das Wetter ist recht schön, die Strecke sanft hügelig. Es gibt viele Gründe regelmäßig anzuhalten. Ein Grund sind die Brombeeren. Kilometer lange Hecken voller Früchte. In Frankreich sind die Brombeeren kleiner, fester und von anderem Geschmack. Nicht so aromatisch, wie bei uns, aber sehr fruchtig. Ich stopfe mich voll. Am Mittag habe ich Zeit zum Zeichnen und gute Motive vor der Linse. Ich esse die Reste des Pausenbrotes, das mir die Herbergsmutter geschmiert hat. Die Walnüsse aus dem Garten sind riesig. War wirklich schön, unter diesem Baum in Marcigny!

Ein Highlight! Horst ruft an und will wissen wo ich bin. Der Arme sitzt jetzt in Frankfurt und ich fröne der Freiheit. Alter Muffkopp! Freue mich bereits jetzt auf die nächste Etappe ab April 2014.

Immer wieder passiere ich Höfe und Gehöfte, die durch einen Zaun gesichert sind. Und das ist auch gut so! Wäre nicht diese unüberwindliche Barriere, so manche Wunde hätte dem Konto meiner alltäglichen Straßenfeinde gutgeschrieben werden müssen.

Die Hundebande ist ein Spiegel Ihrer Herren. Der Hund in Deutschland ist integraler Bestandteil der Wohlfühlgesellschaft und Familienmitglied. Zunächst ist er nett, unsicher und zurückhaltend. Wenn er bellt, bellt er zumeist verhalten und vertraut ganz auf seine abschreckende Wirkung. Er würde nie oder nur in absoluten Ausnahmefällen zubeißen. Ihm sitzt die Angst seines Herren inne. Kurzum, er ist so bieder und hochgeschlossen, wie der Rest des Rudels. Hund passt sich an. Von Gewalt keine Spur. Vielleicht mal ein gebelltes oder geknurrtes Revolutiönchen, das wars.

Der Hund in Frankreich hingegen steht stets auf den Barrikaden seiner Revolution und verteidigt seine Kommune. Er bellt, fletscht und stellt die Haare so furchterregend, dass mir regelmäßig das Adrenalin in die Adern schießt. Die Kerle heißen Danton, Robespierre und Marat. Und wie ihre Namensgeber diskutieren sie nicht lange. Her mit dem Kerl, aufs Schafott mit ihm und ordentlich in Stücke gerissen. Danach kann man ja gerne ein Gläschen trinken und sich verbrüdern. Welche Analogie! Wir haben es stets vor, die Franzosen haben es getan. Es lebe die Revolution!

In Valigny erwischt es mich dann. Ein guter Nachbar vergißt das Hoftor zu schließen. Schon ist mir Danton auf den Fersen. Es geht bergab. Ich rufe „arrête“ und fuchtele mit dem Stock wild um mich. Danton schnappt nach der Spitze, verfehlt sie und überschlägt sich fast, in seinem Versuch die Skates zu packen. Rettung naht. Auf der stark befahrenen Straße kommt ein Auto entgegen und drängt den Burschen ab. Ich gebe Gas und enteile meinem Untergang.

Ist man in Frankreich als Pilger unterwegs, schlägt einem die Freundlichkeit an allen Ecken entgegen. Man stelle sich vor, es kommt ein Pilger auch noch auf Skates daher; Er wird umgehend zum Heiligen erklärt. Kaum bin ich in diesen sonnigen Tag gestartet, lacht und winkt es mir von allen Seiten zu. Ich werde mehrfach eingeladen. Kaffee und Wasser nehme ich gerne. Den Roten vertröste ich auf später. Zu schwierig sind die Straßenverhältnisse um leicht beschwingt weiter zu skaten.

Und zwischen den Hunden und aller Herzenswärme, bin ich alleine mit mir und einer einsamen und stillen Natur. Das weite bunte Land, die urigen Bäume, die stillen Kanäle und verwunschenen Dörfer, sind so eindrücklich und klar, dass ich die Zeit vergesse. Ich habe Lust meinen Rhytmus zu fühlen. Die Gleitphasen werden immer länger. Ich spüre wie die Kraft der Arme in die Kraft der Beine greift und sie verdoppelt. Im immer gleichen Takt der Stöcke, begegne ich mir selbst und meinen Gedanken.

Der Tag rollt dahin. Die Sonne zieht in den Westen. Die Hügel werden steiler. Schweiß rinnt mir die Beine herunter. Ich fahre mit nacktem Oberkörper. Ob ich die eine oder andere Französin damit verwirre? Ich hoffe doch! Ich trinke hastig aus einem Bächlein. An Chaussee Bäumen hängen Mirabellen und Äpfel. Ich esse, was ich kriegen kann. Was im Bauche ist, kann einem niemand mehr nehmen. Verrohe ich, oder werde ich einfacher!?

Endlich das nächste Ziel: Ainay le Chateau! Die Herberge liegt wiederum direkt an der Straße. Mein Ruf ist mir voraus geeilt. Ein Empfangskomitee begrüßt mich schon von weitem. Monsieur “la Rolläär” ist da. Wie schön. Das Essen ist fertig, hurra!

Etappe: Marcigny – Ainay le Chateau 39,8 km


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Kommentare

  1. Carl-Heinz

    Hallo Klaus,
    bin beim googeln auf eure Seite gestoßen. Spannender Artikel.Was man so auf Rollen erleben kann. Ich fahre auch erst seit kurzen mit Skates, jedoch würde ich mir noch nicht den Jakobsweg zutrauen.
    Aber dein Bericht macht mir Mut, es doch einmal auszuprobieren.
    Wann kommt den die nächste Episode ?
    Grüße
    Carl-Heinz

  2. Klaus Kern

    Hallo Carl-Heinz,

    schön, dass Dir die Seite gefällt. Die nächste Episode wird wohl in der kommenden Woche online gehen.
    Kommentare und Anregungen sind ausdrücklich erwünscht.

    Viel Spaß noch!

  3. Stefanie

    Lieber Klaus,
    toll, wie du von deiner großartigen Tour berichtest!
    Ich bin durch einen Tipp von einem Freund auf deinen Bericht aufmerksam geworden und verfolge seitdem fasziniert wie du ein Bild, fast ein Gemälde von Land, Leute und deinen Erlebnissen mit deinen Worten malst.
    Und dabei pointiert zum Schmunzeln anregst, danke dafür!
    Ich bin gespannt auf deine weiteren Erzählungen.
    Herzlichst und mit vielen Grüßen,
    Stefanie

  4. Heinrich

    Hallo, tolle Berichte! Und sehr lustig geschrieben.
    Gibts denn noch mehr Geschichten vom Klaus?

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